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Musées Cantonaux, 4350 2016/3 2/7
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Staatsarchiv Wallis – Mediathek Wallis – Walliser Kantonsmuseen
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Ein Fluss in Festlaune

Hundert Jahre Rhonefest zwischen der Schweiz und Frankreich

 


 
Die Veranstaltung, die 1926 zum ersten Mal in Südfrankreich stattfand und sich dann nach und nach in der Schweiz verbreitete, indem sie zweimal flussaufwärts bis nach Siders reiste, brachte Delegationen aus dem gesamten Einzugsgebiet der Rhone in die ausgewählten Städte. Festivals und Aufführungen rund um das Thema Fluss bereicherten ein Event, das von Ritualen, wissenschaftlichen Kongressen und künstlerischen Wettbewerben geprägt war.
Diese ehrgeizige und populäre Veranstaltung ist heute weitgehend in Vergessenheit geraten, obwohl sie ein grosses Publikum angezogen und ein Netzwerk von Partnerstädten geschaffen hat, die ein Interesse an der Entwicklung des Flusses hatten.
Die Rhone war während der gesamten Feierlichkeiten die «Königin des Festes». Aber warum war das so? Worauf ist diese zentrale Rolle des Flusses zurückzuführen?
Diese Ausstellung wurde von der Mediathek Wallis-Sitten und dem Staatsarchiv Wallis bei dem Kulturzentrum Les Arsenaux zwischen August und Oktober 2024 im Rahmen des 35. Rhonefestes präsentiert. Sie bot Erkundungswege als Stationen am Ufer der Rhone. Die Inszenierung des Flusses lud dazu ein, die verschiedenen Facetten des Festes zu entdecken.
Die vorliegende virtuelle Präsentation greift den Inhalt der vergangenen Ausstellung auf und kombiniert die Texte mit passenden Archivfotos.

Das Fest und das Wallis

Festwagen zum Thema der Kandidatur des Wallis für die Olympischen Winterspiele 1976 während des Umzugs im Rahmen des Rhonefestes in Siders, 1969.

 

Nach der ersten Ausgabe des RhoneFetes dauerte
es mehr als 20 Jahre, bis die Veranstaltung
1948 endlich im Wallis stattfand.

 

Das Rhonefest hat seinen Ursprung in Frankreich. Im Jahr 1926 veranstaltete die Stadt Tournon die erste Ausgabe, um den 100. Jahrestag der ersten Hängebrücke über den Fluss zu feiern.

Der Organisator des Festes, Gustave Toursier, ein Verleger von Reiseführern, gründete einen Verein, um künftige Feste zu planen und die Idee dauerhaft zu verankern. Dies war die Geburtsstunde der Union Générale des Rhodaniens (UGR).

1929, nachdem das Fest erstmals in der Schweiz – in Genf – stattgefunden hatte, unternahmen Gustave Toursier und einige « Rhodaniens » in Begleitung des Walliser Staatsrats Maurice Troillet eine « Pilgerfahrt zum Rhonegletscher » (Le Nouvelliste, 13. Juli 1929).

Nach diesem ersten Treffen beschloss der Kanton, eine Walliser Sektion der UGR zu gründen (1933) und eine Delegation an das nächste Fest in Marseille zu entsenden. Diese sollte etwas Gletscherwasser als Opfergabe für das Mittelmeer mitbringen. Dies war der Beginn einer langen Beziehung...

1926    Tournon
1927    Lyon
1928    Avignon
1929    Genève
1930    Arles
1931    Valence
1933    Marseille
1934    Lausanne - Ouchy
1938    Aix-les-Bains
1946    Lausanne - Ouchy
1947    Nîmes
1948    Sierre
1949    Evian
1950    Avignon
1951    Vevey
1952    Valence
1953    Dijon
1954    Marseille
1956    Morges
1957    Annecy
1959    La Tour-de-Peilz
1960    Thonon-les-Bains
1961    Avignon
1964    Tain-Tournon
1965    Genève
1967    Valence
1969    Sierre
1971    Evian
1975    Avignon
1979    Lausanne - Ouchy
1984    Monthey
1987    Vevey
1997    Port-Valais - Le Bouveret
2000    Vaulx-en-Velin
2024    Sion - Viège - Monthey

Das Rhonefest sehen

Das heute fast in Vergessenheit geratene Rhonefest hat die Westschweiz und insbesondere das Wallis nachhaltig geprägt.

 

Als 1948 in der düsteren Nachkriegszeit das mit Spannung erwartete Fest in Siders zum ersten Mal im Wallis statt- fand, war dies für viele die erste Gelegenheit, Franzosen zu sehen und umgekehrt. Menschen aus Arles, Marseille, Lyon, Siders und Genf begegneten sich, zwischen Bewunderung und Staunen.

Die Stadt Siders war 1969 erneut Gastgeberin. In der damaligen Tagespresse nannten die Organisatoren die Zahl von 50000 Besucherinnen und Besuchern der dreitägigen Veranstaltung. Am Galaabend spielte das Ensemble des New-Orleans Hot Club von Siders den ersten Teil, um den Saal vor dem Auftritt des Stargasts Josephine Baker anzuheizen.

 

Josephine Baker während der Eröffnungsgala des Rhonefestes in Siders, 1969.


Im Jahr 1984 bildeten 80 Folkloregruppen und Musikkapellen aus Frankreich und der Schweiz den Umzug, der 2700 Personen durch die Strassen von Monthey führte.

1997 tanzten in Port-Valais Tanzgruppen auf Booten ein Ballett, begleitet von pyrotechnischen Effekten und Feuerwerk auf dem Genfersee.

 

Feuerwerk über dem Genfersee. (Fotografie aus der Broschüre Rhonefeste, Port-Valais – Le Bouveret, 1997 : Erinnerungen)

 

«Wissen Sie, das kann man nicht einfach so erzählen, dieses Fest muss man gesehen haben ».

Interview mit Elie Zwissig, Erinnerungen an das Fest von 1948.

Magie der Rituale

Die Pflanzung des rhodanischen Freundschaftsbaums. (Fotografie aus der Broschüre Rhonefeste, Port-Valais – Le Bouveret, 1997 : Erinnerungen)

 

Vier Rituale waren fester Bestandteil jedes Festes: die Opfergabe an die Rhone, der allegorische Umzug, die Übergabe des Banners der Rhodanier und die Pflanzung des Freundschaftsbaums.

 

Die Organisatoren ersannen ein umfassendes ritualisiertes Zeremoniell mit Symbolen, heiligen Gegenständen, einem symbolischen Altar, einer Fahne, Gebeten und einer Hymne.

Übergabe des Banners der Rhodanier. (Bibliothek Genf, Zentrum für Ikonografie, Bestand F.H. Jullien.)

 

Für die Anthropologen entwickelt die Dramaturgie der Riten bei den Teilnehmern eine emotionale Bindung an die Rhone, die wie eine Gottheit dargestellt wird.


Opfergabe an die Rhone. (Samuel Aegerter, Mediathek Wallis – Martinach)

 

Der «Flussgott» wird als Bindeglied für das beschrieben, was während des Festes entsteht: eine Gemeinschaft, die alle Anwohnerinnen und Anwohner  des Flusses vereint. Rhodanien hat seine eigene Flagge und lebt auch in diesem Baum, der die Vielfalt der Böden Rho- daniens widerspiegelt. Ebenso stellt der allegorische Umzug diesen Raum dar, der das schweizerische und das französische Rhonetal vereint, wobei sich die einzelnen Delegationen der Städte zu einem einzigen Umzug vereinen, einer lebendigen Gemeinschaft, die gemeinsam marschiert.
 

 

Der allegorische Umzug. (Treize Etoiles, Mediathek Wallis – Martinach)


«Das Pflanzen des Freundschaftsbaumes ist eine Allegorie für den Zusammenschluss».

Stéphanie Beauchêne, Anthropologin.

Jenseits des Festes: Die Union Générale des Rhodaniens

Die erste Ausgabe des RhoneFestes führte zur Gründung eines Vereins, der für die Organisation der Veranstaltungen während des gesamten 20. Jahrhunderts verantwortlich ist. Begleitet wurde diese Bewegung von einer attraktiven illustrierten Zeitschrift.

 

Die 1926 gegründete Union Générale des Rhodaniens (UGR) ist die Dachorganisation der Feierlichkeiten: Sie wählt die Gastgeberstadt aus, lässt ein Plakat entwerfen und kümmert sich bis ins kleinste Detail um die Aufführungen und Umzüge. Vor jeder Ausgabe bereitet die französisch-schweizerische Vereinigung die Feierlichkeiten im Detail vor. Doch die UGR hat noch weitere Aufgaben.

Seit ihrer Gründung verstand sie sich als «polytechnische Akademie». Sie vereinte industrielle und wissenschaftliche Kreise, organisierte Kongresse und Kolloquien und wurde zu einem Ort der Begegnung und des Austauschs zwischen Wasserbauingenieuren. Ab den 1930er Jahren vereinigte die UGR auch Literaten mit dem Ziel, eine «Rhonekultur» zu schaffen, die das Ansehen des Rhonegebiets zu stärken vermochte.


 

Gratulationsschreiben des Komitees der UGR (Union Générale des Rhodaniens) zur Gründung der kantonalen Walliser Sektion, unterschrieben von Louis Perret, stellvertretender Generalsekretär der UGR. (Valence, 23. Oktober 1933). (AEV, 3510-4, 4.2.5)

Um die verschiedenen Aktivitäten und die Philosophie der Union vorzustellen, wurde die Zeitschrift L’Or du Rhône (1926-1987) gegründet. Im Jahr 1969 wurden einige Ausgaben von der Walliser Sektion der UGR in Siders herausgegeben.

 

Tabelle zur Organisation der Transporte für die französischen Folkloregruppen anlässlich des Rhonefestes in Siders (1969). (AEV, Zwissig, 1977/29, 8.11/10)

 

«Nichts ist so organisiert wie ein Fest ».

Emmanuelle Lallement, Anthropologin

Nährboden

Plakat der internationalen Ausstellung « 53 Peintres rhodaniens d'aujourd'hui », im Rahmen des Rhonefestes in Siders im Jahr 1969.

 

Während der gesamten Geschichte der RhoneFeste hat die Kunst eine wichtige Rolle gespielt. Künstler aller Art haben sich zusammengefunden, um eine «Rhone-Kultur » zu schaffen.

 

Maler, Bildhauer und Schriftsteller, die sich von der Rhone inspirieren liessen, folgten dem Ruf des Festes, das Kunstwettbewerbe, Ausstellungen, Musik– und Theateraufführungen zur Förderung der Kunst und Literatur der Rhone anbot. Die Veranstaltung wurde zum Nährboden für eine reiche Produktion, und die Walliser Künstler zeigten sich von ihrer besten Seite : 1969 zum Beispiel erhielten Corinna Bille und Maurice Chappaz gemeinsam den ersten Literaturpreis.

In der Literatur über die Rhone wird der Fluss stets als lebendig und aktiv dargestellt. Er erfüllt eine Schutzfunktion, indem er Gutes tut («Chant de notre Rhône», C.-F. Ramuz). Als friedensstiftender und vereinigender Fluss («Le Poème du Rhône», Frédéric Mistral) wird er zum Bindeglied zwischen den Menschen in der Schweiz und in Frankreich. Die Schriftsteller der Rhone gründeten 1948 die Académie Rhodanienne des Lettres, die bis heute besteht.

Die Feste selbst waren Kunstwerke, für die oft berühmte Regisseure für Aufführungen engagiert wurden. Das Theater stand im Dienste der Rhone, unabhängig ob es sich um Umzüge, Aufführungen oder szenische Spiele handelte. Die Rhone wurde in der Kleidung, in den Farben und in den Bewegungen der Schauspieler dargestellt. Die Inszenierungen zielten darauf ab, dem Fluss Leben einzuhauchen.

 

«Sie mussten diese unendliche Wonne empfinden, dieselbe Zuneigung, alles, was ich in den Wäldern und am Ufer der Rhone verspüre.»

Schwarze Erdbeeren, S. Corinna Bille.

Achtung… Flussbauarbeiten im Gange

Brief der UGR (Union Générale des Rhodaniens) an die Behörden des Kantons Wallis und Genf. In dem Brief wurden die Kantone aufgefordert, sich aktiv an der inoffiziellen «französisch-schweizerischen Kommission zur Untersuchung der Mittel zum Schutz des Wassers der Rhone und des Genfersees" zu beteiligen, die 1950 unter der Schirmherrschaft der UGR gegründet wurde. (AEV 6810-1, 3.3.3.1)

 

Auf den polytechnischen Kongressen der Feste entwarfen die Ingenieure Projekte, um die Rhone mit dem Rhein und damit mit ganz Europa zu verbinden.

 

Wie die Pläne für den Bau des transhelvetischen Kanals, der Rhein, Rhone und Donau verbinden sollte, zeugen die Berichte über ihre Arbeit von einer echten Utopie, die dem Kontinent Frieden bringen sollte, indem sie Nordeuropa über den Flusshandel mit dem Mittelmeer verband.

Mit der Gründung der Rhonefeste erhofften sich die Organisatoren eine Demokratisierung der technischen Belange des Flusses und wollten die Öffentlichkeit für ihre Anliegen gewinnen. Auch wenn diese Pläne nicht verwirklicht wurden, spielten die Rhonefeste eine wichtige Rolle im Rahmen der Flussregulierung, indem sie einen Raum für Diskussionen über ein transnationales Wassermanagement schufen.

In den 1950er Jahren war es die UGR, die sich als erste um die Wasserqualität der Rhone sorgte. Sie bildete eine «inoffizielle französisch-schweizerische Kommission», in der die Leiter der eidgenössischen Wasserwirtschaftsämter und französische Delegierte vertreten waren und verfasste einen Gesetzesentwurf zur Änderung der Schweizer Verfassung, um die Rhone besser vor Wasserverschmutzung zu schützen – ein Beweis für ihre Vorreiterrolle im Umweltschutz.

 

«Und was wollen die Initiatoren mit diesem Fest erreichen, was sind ihre Anliegen, wie stellen sie sich die praktische Umsetzung vor?

– Genf zu einem Flusshafen mit Zugang zum Mittelmeer machen, so wie Basel zum grossen Schweizer Rheinhafen geworden ist.

– Schnellere Umsetzung des Projekts zur Schiffbarmachung der Rhone.

Wenn die Schweiz zwei Häfen hat, einen für die Nordsee und einen für das Mittelmeer, wenn ihr Flussschifffahrtssystem eine Verbindung mit der Donau und dem Orient ermöglicht, dann wird sie zum Dreiländerzentrum Europas.»

Marcel Guinand, Präsident der UGR, «La quatrième fête du Rhône». (In SBB Revue, 1929)

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